Die Akupunktur von folgenden Punkte ist indiziert, um bei Migräne den shào yáng aufzulockern (xuān sàn shào yáng), Wind auszuleiten und die Schmerzen zu lindern (shū fěng zhǐ tòng):

  • 3E 23 (sī zhú kōng) in Richtung Gbl 8 (shuài gǔ) stechen,
  • Di 4 (hé gǔ),
  • Lu 7 (liè quě) und
  • Gbl 41 (zú lín qì).

Diese sind die Hauptpunkte, mit denen bei 90% der Fälle gute Ergebnisse erzielbar sind.

3E 23 (sī zhú kōng)

Am Punkt 3E 23 (sī zhú kōng) endet der Meridian des Dreifachen Erwärmers (Hand shào yáng) und der Gallenblasenmeridian (Fuß shào yáng) beginnt. Die Wirkung des Punkts, die shào yáng-Meridiane durchlässig zu machen, wird verstärkt, wenn man ihn entlang der Haut in Richtung Gbl 8 (shuài gǔ) sticht.

Gbl 8 (shuài gǔ)

Gbl 8 (shuài gǔ) ist nicht nur deshalb gut geeignet zur Behandlung der Migräne, weil er auf dem Gallenblasenmeridian liegt, sondern auch, weil er der Kreuzungspunkt (huì xué) von Gallenblasenmeridian und Blasenmeridian ist. Er kann deshalb Wind-Hitze im shào yáng zerstreuen, die über den Blasenmeridian an die Oberfläche dringt.

Di 4 (hé gǔ)

Di 4 (hé gǔ), der yuán-Punkt des Dickdarmmeridians, kann den Geist beruhigen (ān shén zhèn fìng) und Schmerz stillen. Nach der Fünf-Elemente-Theorie gehört er zum Holzelement und kann daher den Gallenblasenmeridian öffnen.

Lu 7 (liè quě)

Nach der Theorie von Ma Dan-yang (12 Himmelsstern-Punkte für gemischte Erkrankungen) ist Lu 7 (liè quě) der luò-Verbindungspunkt des Lungenmeridians (Hand tài yīn). Er wirkt besonders gut bei einseitigen Erkrankungen des Kopfes.

Gbl 41 (zú lín qì)

Gbl 41 (zú lín qì) gehört ebenfalls zum Holzelement und kann Wind-Hitze im shào yáng ausleiten. Weil er am Fuß liegt und damit weit entfernt vom Krankheitsherd, kann er die Hitze nach unten ziehen.

Zusätzliche Punkte

Bei Schmerzen, die durch äußeren Wind (zum Beispiel Zugluft) verursacht sind, können auch die Punkte Gbl 20 (fěng chí), Di 11 (qū chí) und Gbl 39 (jué gǔ) akupunktiert werden.

Fallbeispiele: Migräne

Fall 1. Ein 55jähriger Mann klagte über seit elf Jahren bestehende Migräne, die sich kürzlich durch schwere Arbeit verschlimmert hatte. Die Schmerzen traten in der Gegend des linken Auges auf. Außerdem klagte er über Schlaflosigkeit, Ohrgeräusche, Schwindel, ein Taubheitsgefühl in der linken Körperseite und schlechten Appetit. Der Zungenbelag war dünn und weiß, der Puls versunken und schmal (chén xì). Die Diagnose lautete: Verbrauch des Blut-qì durch übermäßige innere Besorgnis. Nach der Theorie der fünf Elemente wird hier das Element Holz zu wenig genährt, weil das Element Wasser in einem Mangelzustand ist. Gleichzeitig kommt es zum Eindringen von Wind, und dieser triggert das Aufbrausen des yáng der Leber. Die Behandlung besteht darin, den Wind zu zerstreuen (shū fěng), die Meridiane zu reinigen (tōng jīng) und den Schmerz zu lindern. Es werden folgende Punkte akupunktiert: 3E 23 (sī zhú kōng) in Richtung Gbl 8 (shuài gǔ), Gbl 20 (fěng chí), Di 4 (hé gǔ), Lu 7 (liè quě), Gbl 41 (zú lín qì) und 3E 17 (yì fěng) auf der betroffenen Seite. Die Nadeln werden sedierend manipuliert und 20 Minuten liegengelassen. Als der Patient zur zweiten Behandlung kam, waren die Kopfschmerzen gebessert. Insgesamt wurden sieben Behandlungen gegeben.

Ist die Migräne Ausdruck von übermäßiger Hitze in Leber und Gallenblase (gān dǎn shí rè), benutze ich die Punkte sī zhú kōng und nèi yíng xiāng zum Blutenlassen und akupunktiere sì shén cōng und Le 2 (xíng jiān).

 

Fall 2. Eine 52jährige Frau klagte über unerträgliche linksseitige Migräne und Druckgefühl hinter den Augen. Diese Beschwerden bestanden seit einem halben Jahr. Sie konnte seit Beginn dieser Erkrankung schlecht schlafen und war appetitlos. Es handelte sich um eine kräftige Frau mit gerötetem Gesicht. Sie hatte trockenen Stuhlgang und einen gelben Zungenbelag. Der Puls war schlüpfrig, gespannt und kraftvoll (xián huá yǒu lì). Die Diagnose lautete: Hitze im Magenmeridian (Fuß yáng míng) zusammen mit Feuer in Leber und Gallenblase, das zum Kopf und zu den Augen aufbraust. Die Behandlung musste den Wind aus Leber und Gallenblase austreiben und den stagnierenden Wind im Magenmeridian beruhigen.
Die Punkte tài yáng, Ma 7, 3E 17 (yì fěng) und Di 4 (hé gǔ) wurden mit sedierender Manipulation akupunktiert. Die Nadeln wurden 30 Minuten liegengelassen. Die Schmerzen waren anschließend gelindert. Nach 50 Minuten kam die Patientin zurück und bat um weitere Behandlung, weil sie ganz plötzlich einen vernichtenden Kopfschmerz bekommen habe mit drückendem Schmerz hinter den Augen. Nun wurde Blut abgelassen am Punkt Di 20 (yíng xiāng). Die Schmerzen ließen schon während der Behandlung nach. Diese Behandlung war ausreichend.

Man findet Migräne auch bei Mangelzuständen in Magen und Milz, die aufgrund von Übermaß in der Leber entstanden sind. Gbl 5 (xuán lú), Gbl 4 (hàn yàn), KG 12 (zhōng wǎn), Ma 36 (zú sān lǐ) oder Ma 40 (fěng lóng) und KG 6 (qì hǎi) werden dann akupunktiert und moxibustiert.

 

Fall 3. Eine 30jährige Frau klagte über linksseitige Migräne, die sich zu den Augenbrauen zog, sowie über ein Unwohlsein im Bereich des Oberbauchs und Übelkeit. Sie hatte dabei einen weißen Zungenbelag und einen gespannten Puls. Die Diagnose lautete: Mangelzustand im Element Erde (Milz), Angriff auf die Erde durch das Holzelement (Leber), Leere-Hitze von Leber und Gallenblase mit aufbrausendem qì des Magens, das den shào yáng beeinträchtigt. Die Behandlung musste die Leber beruhigen und das aufbrausende qì unterdrücken, die Meridiane öffnen und die Schmerzen lindern. Es wurden genadelt: 3E 23 (sī zhú kōng) in Richtung Gbl 8 (shuài gǔ), Gbl 20 (fěng chí), Lu 7 (liè quě), Di 4 (hé gǔ) und Le 3 (tài chōng) auf der betroffenen Seite mit sedierender Manipulation. Die Nadeln wurden 20 Minuten liegengelassen. Als die Patientin zum zweiten Mal kam, waren die Kopfschmerzen erleichtert, aber die Übelkeit und das Unwohlsein im Oberbauch bestanden weiter. KG 12 (zhōng wǎn) und Ma 36 (zú sān lǐ) wurden nun zusätzlich akupunktiert. Bei der dritten Visite war nur noch Übelkeit vorhanden. Das bedeutet, dass die Leber immer noch nicht geheilt war. Di 4 (hé gǔ), Lu 7 (liè quě), KG 12 (zhōng wǎn), Le 14 (qí mén), Ma 36 (zú sān lǐ) und Le 3 (tài chōng) wurden nun genadelt. Mit einer weiteren Behandlung war die Patientin beschwerdefrei.

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